26.04.2018: Rezension von Hans Gysi zum Stück

Das Ticken der Eieruhr

Wenn die Eieruhr tickt, dann geht es um mehr als um das Kochen von harten Eiern. Die vierzigjährige Karrierrefrau Regula wartet auf Frank und bereitet ein aphrodisisches Essen zu. Avocados, Austern und Kaviar soll es geben. Franks sexuelles Verlangen soll so sehr angestachelt werden, dass es heute Abend mit Beischlaf und Befruchtung bestimmt klappt.

Regula hat salopp gesagt Torschlusspanik und setzt auf ihre letzte Karte nämlich Frank. Er hat laut Vermittlungsinstitut 80 Prozent Übereinstimmung. Die Pläne der spät gebärenden, gutaussehenden Akademikerin nehmen im Laufe des Abends immer groteskere und tragischere Züge an. Immer wieder zählt sie panisch die noch lebenden Eizellen und verkrampft sich mehr und mehr. Mit Humor und Verve wird die Geschichte dargeboten und die Zuschauer sind hin- und hergerissen, fiebern mit Regula und distanzieren sich wieder.

Für überraschende Wendungen ist gesorgt. Die Verbissenheit mit der Regula ihre Pläne verfolgt, lässt sie einsamer und einsamer werden. Ihr erster Freund hat sie verlassen, die jüngerer Kollegin wird zur Rivalin und Frank, der gar nicht kommt. Die Klaviereinspielungen (Avo Pärt) und die Videos (Marc Gander) bieten stimmige kleine Verschnaufpausen, in denen ihre wahre Verlassenheit und Emotionalität aufscheinen.

Die Geschichte nimmt den schlimmstmöglichen Verlauf und lässt die Zuschauer berührt und begeistert zurück. Wie die Machbarkeit des Lebens einen in die Irre führt ist, ist eine bedeutsame Lehre, die man ziehen kann. Bei aller Zuspitzung bleibt die Geschichte detailliert und differenziert. Ein weiterer Grund, warum sich ein Theaterbesuch lohnt.

Susanne Odermatt (Schauspiel und Text) und Marcelo Diaz (Regie und Entwicklung) lassen in ihrem Stück nichts anbrennen:
Die Protagonistin spielt entschlossen und präzis, wechselweise fein und hochemotional, nie schrill oder überzogen, in den Dialogen wechselt sie blitzschnell die Haltung und den Ton, karikiert nicht, bleibt genau, wenn ihr etwa der Chef erklärt, wie grosszügig es sei, dass sie ihre Eizellen in seiner Firma gratis einfrieren dürfe und sich so ganz der Karrierre widmen könne. Oder später als Ärztin von „Happy Ovum“, die sie von dem Schritt überzeugt, da ist man als Zuschauer Zeuge von grosser Schauspielkunst. Besonders eindrücklich ist auch die Reaktion, als Frank abgesagt hat. Dieses hoch- emotionale Wechselbad, ein unerwartetes Lachen, das in ein hemmungsloses Schluchzen wechselt.

Die natürliche, ernsthafte Darstellung überzeugt bis zum bitteren Ende.

Das Bühnenbild (Corinne Koller und Pia Schwarz) ist ästhetisch kohärent, raffiniert und verwandelt sich durch die Beleuchtung: Aus weissen Plastikkanistern wird eine moderne funktionale Küchenlandschaft.

Wohl nicht die einzige Hightech–Küche, wo sich moderne Tragikomödien abspielen.
Es hilft, die vielen kurzen Szenen aufzudröseln und zu platzieren. Die Beleuchtung und Technik (Jon Brunke) sind fein abgestimmt.

Timing und Rhythmus sind sehr gut angelegt vom Regisseur Marcelo Diaz, die Situationen genau gearbeitet und entwickelt, Pointen, Brüche und Bilder spannungsvoll umgesetzt bis zum letzten Bild, das jetzt nicht verraten wird.

Man spürt in der ganzen Anlage, dass hier ein sehr erfahrener Regisseur am Werk ist mit einer klaren, eigenen Bilder- und Theatersprache und dass er mit der Spielerin sehr gut zusammengearbeitet hat. Die Besucher bekommen ein reichhaltig angerichtetes Stück zu sehen, das nichts zu wünschen übrig lässt. Marcelo Diaz hat mit dieser Arbeit das Vorurteil eindrücklich widerlegt, dass Solos dröge und langweilig sein müssen. Und obwohl nur eine Person spielt, erlebt man hautnah eine Vielzahl von Stimmen und intimen Momenten.

Kurz gesagt, ein sehr empfehlenswerter Theaterabend! Hingehen und Staunen! Dass solche Produktionen im Thurgau produziert und veranstaltet werden (Eisenwerk Theater Frauenfeld) ist ein Versprechen.

Hans Gysi, Theaterschaffender und Autor in Märstetten und Kreuzlingen

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